In den letzten Wochen ist viel passiert. Vor drei Wochen waren wir noch ganz gefangen von der atemberaubenden und wilden Schönheit des Golfo di Orosei. Wir hatten eine Woche lang beinahe Flaute – für den Segler ist das eigentlich immer ein kleines Ärgernis, aber für uns war es eigentlich auch wiederum gut – wir konnten unter Motor sehr nahe an den steil aufragenden Kalkfelswänden des Orosei-Massivs entlang fahren. Jeder gefahrene Meter eröffnete uns einen anderen Blick, eine andere Felskante, Felsnische, Höhle oder Abris. Beeindruckend, wie Macchia und Kalkfelsen innig miteinander verwoben sind. Und plötzlich wieder eine kleine Bucht mit weißem Sand. Meist dort, wo ein Bach- oder Flusslauf sich den Weg durch die Kalkfelsen gefressen hat, eine tiefe, enge Schlucht bildend.


















Die meisten dieser paradiesischen Buchten mit türkisblauem Wasser sind nur durch lange Fußmärsche oder eben mit dem Boot zu erreichen. Gut für die Natur, der Massentourismus hält sich noch in Grenzen. Viele junge Leute sind da. Im Rucksack Badesachen und eine Kletterausrüstung, denn in den steilen Felswänden sind viele Kletterrouten eingerichtet. Gehobener Schwierigkeitsgrad. Aber anscheinend kein Problem für die Kletterer.
Wir ankern vor den schönsten Buchten, baden oder wandern mit Lucky durch die engen Schluchten. Selbstverständlich besuchen wir auch die Höhle Grotte del Bue Marino. Auf Meereshöhe ziehen sich die Gänge mit Stalagmiten und Stalaktiten tief in den Kalkfels. Die freundliche Rangerin erklärt in gutem Englisch, dass hier noch bis in die 1980er Jahre die Kinderstuben der letzten Mönchsrobben waren. Einen knappen Kilometer werden wir in Höhle geführt, vorbei an dem Punkt, wo Salz- und Süßwasser aufeinander treffen. Danach ist sie für Touristen gesperrt und das insgesamt über 70 Kilometer lange Höhlensystem der Natur und den Wissenschaftlern vorbehalten, das unter anderem auch 1972 und in den Jahren darauf von dem deutschen Höhlenforscher Jochen Hasenmayer kartiert und erforscht wurde.




Im Golfo di Orosei hätten wir noch länger bleiben können. Aber der Krantermin steht fest. Wir müssen weiter nach Santa Maria Navarrese. Dort in der Marina fühlen wir uns vom ersten Moment an wohl. Wir werden von hilfsbereiten Marineros freundlich begrüßt und bekommen einen guten Platz zugewiesen. Nur für eine Nacht, denn am Freitagmorgen um 8.00 Uhr wird unsere Colette an Land gestellt.



Das Unterwasserschiff hat nur im oberen Bereich, dort wo das Sonnenlicht permanent hinkommt, leichten Bewuchs. Das lässt sich gut mit dem Hochdruckreiniger entfernen und der Rest des Unterwasserschiffes vor einem neuen Anstrich mit der Zinkfarbe Metagrip abbürsten. Schlecht sieht dagegen der Wasserpass aus. Dort, wo Luft und Wasser im ständigen Wechsel sind, dort, wo Metagrip und der Lack des Rumpfes zusammenkommen, dort haben sich zum Teil große Roststellen gebildet. Hier müssen wir tief in den Stahl schleifen.



Wir richten unseren Arbeitsplatz für die nächste Woche ein, üben mit Lucky das Auf und Ab über den Flaschenzug der Großschot, denn wir leben ab nun auf 2 m Höhe, und fangen mit den ersten Arbeiten an.


Am Sonntagvormittag trifft Lukas ein. Er ist am Freitag nach Feierabend mit seinem Auto, voll bepackt mit Werkzeug und Farbe, von Lübeck bis nach Seebach gefahren, hat dort alles in den alten Passat umgeladen und noch einiges an Werkzeug dazu gepackt, um dann am Samstagmorgen weiter nach Livorno zu fahren. Die Fähre bringt ihn gegen 8.00 Uhr nach Olbia und zweieinhalb Stunden später parkt er den Passat vor der an Land stehenden Colette. Perfekt!


Jetzt, nachdem der Fachmann mit dem richtigen Werkzeug da ist, geht die Arbeit richtig los. Wir schleifen, bessern aus, schleifen wieder und zwei Tage später ist das Unterwasserschiff fertig. Dann machen wir uns an den Wasserpass und den Rumpf. Beide wollen wir komplett neu lackieren. Vorab müssen aber auch hier die vielen kleinen und größeren Roststellen und Macken ausgeschliffen und mit Primer vorbehandelt werden. Drei Primerschichten. Die müssen erst trocknen. Dann könnten wir lackieren. Aber das Wetter macht uns erst einmal einen Strich durch die Rechnung. In Sardinien, wo es viel zu wenig regnen soll, regnet es an zwei Tagen immer wieder. Wenn auch nur leicht, lackieren kann man da nicht.











Uns wird es deshalb nicht langweilig. Von morgens um 7.00 Uhr bis abends um 21.00 Uhr gibt es genug zu tun. Schließlich wollen wir ja auch noch die Roststellen an Deck entfernen und das Deck neu streichen. So tauschen wir unter anderem das Kabel zum Plotter aus, das die Verbindung zum PC, auf dem wir die Routen planen, nicht mehr herstellen konnte. Bald wird klar: die Ratten, die im Frühjahr vorübergehend auf der Colette hausten, hatten es angenagt und so beschädigt, dass nichts mehr ging…



Bald wird uns klar, dass wir trotz unseres 14 Stunden-Arbeitstages nicht alles erledigen können, was auf der Liste steht. Und mit Lukas noch irgendwelche schöne Ausflüge machen oder gar Segeln gehen, klappt gar nicht. Im Gegenteil. Lukas verlängert seinen Aufenthalt bei uns noch um einen Tag, fährt also erst wieder am Sonntagabend, um wenigstens noch beim Lackieren von Rumpf und Wasserpass dabei zu sein; das möchte er sich nicht entgehen lassen. Und das hat sich gelohnt. Colette wird wunderschön und strahlt in ihrem neuen Kleid!
Wenigstens einmal aber doch waren wir gemeinsam essen und haben unter alten Olivenbäumen mit Blick aufs Meer eine sardische Pizza genossen, deren Teig aus Mehl und Kartoffeln bereitet wird. Unvorstellbar gut!

Andere Yachtbesitzer, die in den letzten Tagen immer wieder am Werftgelände vorbei spaziert sind und unsere Arbeit beobachtet haben, sind voll des Lobes. Unbekannte Passanten bleiben stehen, winken und rufen: „Bellissima!“. Der Chef der Werft sagt nur trocken: „Good work!“, aber wir wissen, das ist eine hohe Wertschätzung. Und Tage später, die Colette ist längst wieder im Wasser, werden wir in Santa Maria Navarrese auf der Straße von uns völlig Fremden angesprochen: „Colette?“, werden wir gefragt, und als wir bejahen, gehen die Daumen hoch. Wir haben wohl ein schönes Schiff, auf das, und auf unsere Arbeit, und noch mehr auf das Können unseres Sohnes, wir mächtig stolz sind!
Als Lukas geht, ist die Hauptarbeit getan. Der Rumpf und das Unterwasserschiff sind komplett fertig, das Deck geschliffen und viele andere „Kleinigkeiten“ erledigt. Danke Lukas. Schade, dass du nicht länger bleiben konntest, um wenigstens einen Tag mit uns Segeln zu gehen. Aber das werden wir in deinem Sommerurlaub nachholen!
Uns bleiben noch zwei Tage an Land, um das Deck zu lackieren und um aufzuräumen. Am Dienstagabend, kurz vor Feierabend, wird unsere Colette wieder ins Wasser gesetzt. 12 stressige Tage sind zu Ende.



Wir „erholen“ uns noch einen Tag in der Marina (das Schiff muss unbedingt noch innen aufgeräumt und wieder seeklar gemacht werden), machen eine lange Wanderung entlang der Küste zum Pedra Longa und gehen abends Essen, während das Spiel Italien gegen Argentinien in der Finallisima übertragen wird. Das waren intensive Tage in Santa Maria Navarrese. Aber auch schöne. Santa Maria Navarrese, die Marina, das Örtchen und die Umgebung lohnen sich, um irgendwann wieder hier her zurück zu kommen.






Wir segeln weiter in Richtung Süden. Am Sonntag wollen wir in Villasimius sein, dem östlichen Ort der großen Bucht von Cagliari, um Simone, Thomas und Chris zu treffen. Simone und Thomas wollen zwei Wochen Urlaub auf Sardinien machen und Chris wird uns die nächsten zwei Wochen begleiten. Die Küstenlinie von Arbatax, das etwa 3 sm südlich von Santa Maria Navarrese liegt, bis hinunter zur Südküste Sardiniens ist fast menschenleer. Wir sehen kilometerlange, weiße Sandstrände und nur an wenigen Buchten, wo eine kleine Straße hinführt oder sich im Hinterland Orte befinden, gibt es Badegäste. Der Grund wird schnell klar: Dieser Küstenabschnitt in der Salto di Quirra ist in der Hand des Militärs. Gesperrt! Der Strand allerdings ist für Besucher frei. Fragt sich nur, wie dort hinkommen. Aber vielleicht will man das auch lieber nicht. Wir lesen im Internet Berichte von merkwürdigen Häufungen von Krebserkrankungen, von Missbildungen an Menschen und Weidetieren und von geheimen Waffentests. Über Jahrzehnte durften sich hier wohl die Militärs der westlichen Welt austoben und sich die „Waffenschmieden“ ausprobieren. Leider wird heute kaum noch geschmiedet, sondern mit Chemie und Radioaktivität experimentiert. Deutsche Firmen sollen auch dabei gewesen sein.





Als wir vor so einem menschenleeren Strand ankern und mit Lucky an Land gehen, kommt sofort ein Militärjeep angefahren. Was wir schon wussten wird uns nochmals deutlich gesagt. Der Strand sei wohl frei aber gleich dahinter ist das Betreten verboten! Ein Gutes hat das Ganze, soweit wir sehen können, entwickelt sich in dem großen Militärareal eine wunderschöne, wilde, sardische Küstenlandschaft.